Länderrisiken finden Eingang in die Risikostrategien

Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker fordert auf der Veranstaltung "Länderrisiken 2011" des BWA-Mitglieds Coface strengere Regeln für das Wirtschaften der Euro-Staaten

Mainz,

MAINZ, 12.5.2011. Die Bedeutung von Länderrisiken nimmt erkennbar zu. Einst als exklusive Domäne der Ratingagenturen und Kreditversicherer erachtet, erlangt in jüngerer Zeit die professionelle Analyse von Country Risks auch für andere Branchen eine erhöhte Bedeutung, denn die hohe Verschuldung der Staaten in Europa wird sich mittelfristig auch auf die Konjunktur und das Zahlungsverhalten der Unternehmen auswirken. Das erwartet zumindest der Kreditversicherer Coface. Der internationale Forderungsspezialist verzeichnet im Moment zwar noch kein gravierend verschlechtertes Zahlungsverhalten von Unternehmen in Portugal, Spanien, Griechenland oder Irland. "Wenn die staatlichen Investitionsimpulse aber reduziert werden oder ausbleiben, was aufgrund der Sparnotwendigkeiten unausweichlich erscheint, müssen wir uns auf Probleme für Unternehmen in diesen Ländern einstellen", sagte Norbert Langenbach beim Kongress Länderrisiken von Coface Deutschland in Mainz. Klare "Gewinner" der Wirtschaftskrise sind nach Einschätzung von Coface die Schwellenländer. Bei weiterhin stabilen Wachstumsaussichten schwinden die Unterschiede zu den etablierten Industrieländern zusehends.

Das Länderrisiko bezeichnet per definitionem die speziellen Verlustrisiken im Außenwirtschaftsverkehr, etwa aus dem Export oder Finanzgeschäften von Kreditinstituten. Im Umkehrschluss könnte man meinen, dass dieses Risiko für nicht exportierende Unternehmen bzw. Non-Banks auch keine Rolle spielt. „Das ist allerdings ein Trugschluss“, weiß Dr. Werner Gleißner, Leiter Risikoforschung der Marsh GmbH. Wichtig sei, Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge, sog. Risikointerdependenzen, zu erkennen und Wechselwirkungen bei den verschiedenen Risikokategorien im Risk Controlling zu berücksichtigen. Gemäß einer Online-Umfrage der Zeitschrift RISIKO MANAGER überwachen mehr als 46 % der befragten Risikomanager Länderrisiken als eigene Risikokategorie und nehmen diese in die Risikostrategie auf.

Im klassischen Credit Management konzentriert sich die Risikoanalyse meist auf die Fragen, wie hoch die Forderungsausfälle sind bzw. ob die vereinbarten Zahlungsziele von den Kunden eingehalten werden. Modernes Risikomanagement umfasst aber wesentlich mehr Risikokategorien, wie etwa Marktrisiken, operationelle Risiken, Liquiditätsrisiken oder externe Risiken. „Eine Steuerung dieses Risiko-Universums lässt sich nur über einen unternehmensweiten Gesamtrisikoansatz realisieren“, sagt Dr. Hans-Peter Güllich, CEO der Avanon AG aus Zürich, die Standard-Softwarelösungen für Operational Risk und Compliance-Themen anbietet. Dass Länderrisiken in Europa schlagend werden, sei für viele Unternehmen neu. Doch theoretischer Natur ist dieses Szenario schon lange nicht mehr. Europa ist derzeit, trotz des unerwartet starken Wachstums der deutschen Wirtschaft, im Länderrating der Coface die Region mit eher negativen Tendenzen. Zwar besteht für Deutschland, Frankreich und die Niederlande seit Jahresbeginn wieder die Aussicht auf das Bestrating A1. Doch für viele wichtige Handelspartner deutscher Exporteure gibt es noch keine Entwarnung. So verharren die Bewertungen für Großbritannien und Italien auf A3. Irland, Portugal und Griechenland wurden zuletzt auf A4 abgestuft, Spanien steht ebenfalls auf der Watchlist für eine Abstufung. "Die Problemlage ist komplex", sagt Langenbach. "Die angespannte Situation der Staatshaushalte wird weiterhin flankiert von den Problemen vieler Banken. Da diese wiederum Gläubiger der Staaten sind, sehen wir eine Wechselwirkung, die dann auch auf die Kapitalausstattung, das Investitions- und Zahlungsverhalten der Unternehmen durchschlagen kann."

Das Ausmaß der Rezession wurde vor allem im Ausland verschuldeten Unternehmen häufig zum Verhängnis. Lettland, Bulgarien und Rumänien rutschten in den Ratingbereich B ab. Gegen den Trend behaupten sich in der MOE-Region allenfalls Slowenien und Tschechien sowie Polen und die Slowakei. Damit nähern sich die Schwellenländer immer stärker an die Industrieländer an. Vor der Krise war das niedrigste Rating bei den Industrieländern A2 – eine Bewertung, die zu diesem Zeitpunkt lediglich von neun Schwellenländern erreicht oder übertroffen wurde. Jetzt erzielen 27 Schwellenländer ein Rating, das gleich oder besser ist als das von Industrieländern. Dazu zählen China, Brasilien und Indien, deren Rating heute besser ist als jenes von Griechenland, Irland und Portugal.

Bei der Methode der Risikobewertung werden von den Ratinganalysten deshalb keine Unterschiede gemacht. Ursprünglich konzentrierte sich die Bewertung von Länderrisiken auf Schwellenländer, da bei diesen die Risiken hoch waren, nicht zuletzt aufgrund des Einflusses von Fremdwährungen. In der Eurozone hat sich jedoch gezeigt, dass auch mit hohen Schulden in der eigenen Währung eine Krise möglich ist. Ein solches Risiko sieht Coface beispielsweise auch für China oder Vietnam, die sich bevorzugt in Landeswährung bei inländischen Banken Kredite besorgen. Diese können jedoch häufig das Risiko der hoch verschuldeten Unternehmen nicht korrekt einschätzen, zumal bei der mangelnden Transparenz, die immer wieder anzutreffen ist.

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Der Vorsitzende der Euro-Gruppe, Luxemburgs Ministerpräsident Jean-Claude Juncker (Foto oben), fordert angesichts der immer schwieriger zu erfassenden Länderrisiken strengere Regeln für das Wirtschaften der Euro-Staaten. Im Rahmen der Konferenz „Länderrisiken“ in Mainz betonte er die Notwendigkeit, nach den Erfolgen der antizyklischen Fiskalpolitik während der Wirtschaftskrise wieder zu einer Politik der Haushaltskonsolidierung zurückzukehren. Gleichzeitig warnte er vor einer Umschuldung Griechenlands. Diese werfe erhebliche Folgefragen auf, die nicht zu überblicken seien. Juncker mahnte zudem eine fachliche Differenzierung an, denn die Schuldenkrise in manchen europäischen Staaten sei nicht mit einer Krise des Euros gleichzusetzen. „Das Euro-Geld ist stabiler, als es die D-Mark jemals war“, so Juncker. Eine Euro-Krise gebe es nicht, wohl aber erhebliche Probleme in Griechenland, Irland und Portugal.

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